Rezension vom 20. September 2024. Buchbloggerin und Autorin Britta Röder, auf Instagram: xlcoffeequeen. https://www.britta-roeder.de/

Also … eigentlich lese ich keine Krimis. Aber jetzt hat Ralf Schwob mit “Osthafen”   ein neues Buch geschrieben. Und da ich Ralf kenne (und sehr schätze) musste ich die eine große Ausnahme machen. Sein „Frankfurt-Krimi“, wie es im Untertitel heißt, der eigentlich auch gar kein klassischer Krimi ist, hat mir richtig Spaß gemacht.

Ralf hat ein feines Gespür für kantige Charaktere, die er glaubwürdig inszeniert. Mit viel Empathie für seine Protagonisten zeigt er menschliche Tragödien ohne „gefühlig“ zu werden. Viele seiner Figuren sind Leute wie du und ich, die durch Umstände, die jeden treffen könnten, in extreme Situationen getrieben werden.

In „Osthafen“ ist es der Arzt Alexander Bühler, der nach dem Krebstod seiner Frau aus der Bahn geworfen wird. Durch seine Spielsucht gerät er in kriminelle Kreise und wird gezwungen seine Spielschulden abzuzahlen, indem er Unterwelt-Kunden in einer illegalen Praxis am Frankfurter Osthafen behandelt. Ihm assistiert die pensionierte Krankenschwester Karin Schneider, die wie Bühler zum Dienst gezwungen wird. Die Praxis am Osthafen wird zum Schicksalsort, an dem sich die Wege von Tätern und Opfern kreuzen.

Ralf Schwob entwirft mit Osthafen eine durchaus realistische Parallelwelt, in der das organisierte Verbrechen das Leben von verschiedenen Menschen fest in der Hand hält. Ungeschönt bereitet er das Thema Zwangsprostitution auf, deren Opfer die junge Rumänin Adriana wird. Während es in einem klassischen Krimi darum geht, einen Täter zu überführen, lebt die Spannung in diesem Roman davon, ob es den Protagonisten gelingt, sich aus dem unheilvollen Netz zu befreien.

„Osthafen“ ist eine krasse Milieustudie, die gesellschaftliche Missstände bloßlegt, ohne zu einer naiven Gut-Böse-Geschichte abzuflachen. Schwob geht nicht zimperlich mit seinen Figuren um. Seine Sprache ist nüchtern und direkt, die Handlung actionbetont und rasant, wozu auch die häufigen Perspektivenwechsel beim Erzählen beitragen. Geschickt fügt er ohne den roten Faden zu verlieren aus den zahlreichen Einzelgeschichten seiner Protagonisten die komplexe Gesamthandlung zusammen.

Darüber hinaus ist der Groß-Gerauer ein regionaler Autor at it’s best. Schwob siedelt seinen Roman „Osthafen“ vor allem im Bahnhofsviertel der Mainmetropole an, rund um das Messegelände und das Gallusviertel sowie im südlich gelegenen Groß-Gerau. Dabei integriert Schwob das Setting perfekt ins Geschehen, so dass die Schauplätze nicht nur filmisch genau die Handlung einrahmen, sondern sogar eine feste Rolle spielen. Ohne Frage liefert dieser Punkt Lesenden mit entsprechender Ortskenntnis einen nicht unwesentlichen zusätzlichen Genusspunkt. Aber auch ohne Ortskenntnisse entsteht bei der Lektüre kein Spannungsverlust, denn die Ortsbeschreibungen sind präzise genug um für sich allein zu stehen.

Mit dem phantastisch fotografierten Coverbild, auf dem die Osthafenbrücke bei Nacht zu sehen ist, stimmt der Frankfurter Mainbook Verlag die Leser:innen perfekt auf die besondere Atmosphäre ein.

Klare Leseempfehlung, nicht nur für Frankfurter und Frankfurterinnen!